8. März 2012

Aushängeschild Corporate Blog?

Es lockt mit der Verbesserung von Kundenbeziehungen, Suchmaschinenoptimierung und lässt sich einfach mit Inhalten füllen. So wie Unternehmenshomepage, Facebook- und Twitteraccount gehört inzwischen auch das Corporate Blog zum unternehmerischen Must-have. Und auch hier lohnt sich die Frage nach Berechtigung und Sinn. Ein guter Beitrag dazu erschien neulich bei Reputation Capital und verführte mich dazu, mir die Corporate Blog Landschaft einmal genauer anzusehen.

„Is your small business really ready to blog?“ ist die Ausgangsfrage, unter der Mary Ellen Slayter fünf Kriterien beschreibt, bei deren Erfüllung das Unternehmen auf ein Corporate Blog besser verzichten sollte. Ins Positive übersetzt lassen sich daraus fünf grobe Voraussetzungen für ein erfolgreiches Blog formulieren, bei denen es im Grunde um Vertrauen in die Mitarbeiter, Geduld, Verlinkung zu anderen Unternehmen, das Abrücken von Werbestrategien und eine guten Kostenkalkulation geht. Im Großen und Ganzen kann ich die Kriterien sehr gut nachvollziehen, wo ich ein bisschen meine Zweifel habe sind die Verlinkungen zu anderen Unternehmen. Diese sollen laut Slayter zur SEO beitragen und die Stärke des Unternehmens symbolisieren. Den Anspruch an sich finde ich auch nicht schlecht, nur was die Umsetzung angeht bin ich sehr gespannt.

My Starbucks Idea: Kundenwünsche werden wahr

Auf der Suche nach dem idealen Corporate Blog, das diese Kriterien erfüllt, stolpere ich zunächst über My Starbucks Idea, das Unternehmensblog von Starbucks. Hier werden User direkt zum Kommentieren und Mitmachen aufgefordert. Sie sollen dem Unternehmen neue Vorschläge machen, beispielsweise zu Produkten oder Locations, die dann von anderen Usern diskutiert werden können und am Ende möglicherweise umgesetzt werden. Die erste Seite bietet einen klaren Überblick über diskutierte Themen, aktive User und bereits realisierte Ideen. Die Partizipation ist sehr hoch. Nach der Registrierung beginnt man automatisch damit, Punkte zu sammeln, ob durch eigene Beiträge, Kommentare oder durch das Bewerten anderer Beiträge. Logisch, dass das die Motivation der Nutzer fördert, auch wenn nicht erkennbar ist, ob die Punkte in irgendeiner Weise eingelöst werden können. Das Corporate Blog dient hier fast eher als Themenforum, das von Starbucks betreut wird.

Aber auch zur Informationsverbreitung wird das Blog von Starbucks genutzt: Die Nutzer wissen als erste Bescheid, wenn eine ihrer Ideen umgesetzt wird. Und auch auf der persönlichen Ebene kann My Starbucks Idea punkten. Starbucks-Mitarbeiter kümmern sich um Anfragen, kommentieren Beiträge und erzählen über den Unternehmensalltag und ihre Lieblingsprodukte. Sie tragen außerdem die Verantwortung für die Weiterleitung, Initiierung und Steuerung von Themen und Vorschlägen. Im Zentrum steht allerdings der Nutzer mit seinen Wünschen. Ein Zeichen, dass das Unternehmen hier keine reine Werbestrategie fährt, sondern Wert auf Kundenbindung legt. Auch gespart wurde bei dem Blog sicher nicht. Zwar ist es relativ simpel gestaltet, wirkt dadurch aber sehr übersichtlich und einfach zu bedienen. Nach eifrigem Suchen finde ich Einträge von Januar 2008, was auf eine geduldige, kontinuierliche Pflege schließen lässt. Links zu anderen Unternehmen fallen mir keine auf. Dass das Unternehmen als Reaktion auf Kundenwünsche nach gesünderen Produkten auf einen naheliegenden Biomarkt verweist wäre vielleicht aber auch zu viel verlangt.

Lots of „luv“ and sharing bei Nuts about Southwest

Das Blog der Southwest Airline, Nuts about Southwest ist immer wieder ganz vorne in Corporate Blog Rankings zu finden. Für eine Fluggesellschaft stelle ich es mir um einiges schwieriger vor, dauerhaft interessante Themen für User zu generieren. Scheinbar habe ich mich getäuscht: 30 feste Blogger posten bei „Nuts about Southwest“ täglich neue Beiträge, nicht nur zum  Thema Fliegen. Bei den Besuchern der Seite scheint das gut anzukommen. Zwar wird hier eindeutig weniger kommentiert als bei Starbucks, dafür werden die Beiträge eifrig ge“luv“t, getwittert und bei Facebook gepostet. Die Vernetzung mit sozialen Netzwerken steht hier stark im Vordergrund, ebenso wie die persönlichen Erlebnisse der Mitarbeiter, die bei der Redaktion große Freiräume und Eigenverantwortung zu haben scheinen. Werbung für das Unternehmen steht hier eindeutig nicht im Fokus. Zwar beziehen sich viele Beiträge auf das Thema Fliegen, aber ein schönes Gegenbeispiel sind Rezepte, die zum Superbowl gepostet wurden. Der älteste Beitrag stammt aus 2006, was ich erstaunlich finde: So alt hätte ich die Kultur des Unternehmensblogs gar nicht eingeschätzt. Ein klares Zeichen für Geduld und Durchhaltevermögen. Layout und Gestaltung wirken professionell, ansprechend und übersichtlich. Was ich aber auch hier vermisse: Verlinkungen zu Wettbewerbern.

Dell bloggt, die User schweigen

Auf der Suche nach weiteren guten Corporate Blogs stoße ich auf Direct2Dell. Bereits 2008 landete das Blog in einem Ranking auf Platz eins, ein anderes platzierte das Blog 2010 auf Platz zwei. Aber ob das Blog auch heutigen Erwartungen noch gerecht wird? Tatsächlich tut es das bei genauerem Hinschauen nicht: Zwar posten viele Mitarbeiter bis zu mehrmals täglich Beiträge, doch es scheint niemanden zu interessieren: Kaum ein Beitrag ist kommentiert.

Ich schlussfolgere: Dell war eines der ersten Unternehmen mit einem Corporate Blog und unterhält dieses auch bis heute noch. Doch auch die beiden vorherigen Blogs gibt es schon lange und im Gegensatz zu Direct2Dell werden heute immer noch aktiv besucht. Was mir noch auffällt: Es gibt Autoren die erst einen Beitrag geschrieben haben, andere haben bereits über 1000 verfasst. Scheint, als hätten die Mitarbeiter hier sehr viel Freiraum – und zu wenig Professionalität? Geduld scheint das Unternehmen auf jeden Fall damit zu haben. Immerhin wird das Blog weiter fleißig gefüllt. Das spricht auch dafür dass daran nicht gespart wird. Ich stehe vor einem Rätsel. Das Blog erfüllt einigermaßen die Kriterien, aber Erfolg sieht in meinen Augen anders aus. Und Links zu anderen Blogs finde ich auch keine.

Westaflex lässt alle frei atmen

Ein interessantes Konzept läuft unter dem Namen Atmen sie tief durch. Das Corporate Blog des Bielefelder Unternehmens Westaflex gibt nicht nur Mitarbeitern die Möglichkeit Themenbeiträge zu schreiben, sondern bricht aus der betriebsinternen Struktur aus und lädt jeden ein mitzumachen. Mehr als 250 angemeldete Autoren können neben Branchenbezogenem auch Beiträge zu Themen „aus aller Welt“ schreiben. So werden beispielsweise Reisetipps verteilt und Meinungen zu Sport ausgetauscht. Was mich hier beeindruckt ist das Vertrauen in die Autoren. Immerhin läuft alles unter dem Namen Westaflex zusammen, die Mitglieder können schreiben worüber sie wollen und indirekt auch das Image des Unternehmens mitgestalten. Das System scheint zu funktionieren, das Blog wurde immerhin schon vor fünf Jahren ins Leben gerufen. Was ich schade finde, ist, dass wie auch bei Dell, die Beiträge nur wenig kommentiert und selten gelesen werden.

Das Licht am Ende des Tunnels: Autoscheinwerfer von Daimler

Und endlich: ich habe ihn gefunden. Scheinbar ist es doch möglich, Mitarbeitern zu vertrauen, das Blog nicht als Werbekanal zu nutzen, geduldig zu sein und den Blog zu vernetzen. Ehrlich gesagt: Hoffnung hatte ich keine mehr als ich das Corporate Blog von Daimler öffnete. Jetzt bin ich tatsächlich überwältigt. Ausgerechnet bei einem Autokonzern treffe ich auf interessante Beiträge, die tatsächlich fleißig kommentiert und gelesen werden. Und was mich am allermeisten freut: Die Autoren schrecken nicht davor zurück mal auf Wikipedia, mal auf aktuelle Studien, mal auf Zeitungsartikel zu verlinken. Es geht unter anderem um neue Produkte, Erlebnisberichte und selbst die Strukturen des Blogs selbst werden hinterfragt. Bloggt man auf Englisch oder Deutsch? Was ist eigentlich die Aufgabe der neuen Abteilung? Woran genau wird grade warum geforscht? Das Blog dient nicht nur dem Unternehmen um sich nach außen zu präsentieren, sondern scheint auch den Mitarbeitern als wichtige Informationsquelle und Austauschplattform zu dienen. Ich bin begeistert! Das Corporate Blog kann sich wirklich sehen lassen und macht mich sogar ein bisschen sprachlos.

Sicher sind die Erwartungen von Usern immer irgendwo auch eigennützig und idealistisch. User und Unternehmen verfolgen eben unterschiedliche Interessen, zum Teil sogar gegensätzliche. Ein Corporate Blog zu führen sehe ich daher als große Herausforderung, immerhin soll es dem Nutzer – so das oben erläuterte Ideal – einen werbefreien, kostenlosen Mehrwert bieten. Insofern haben mich viele Corporate Blogs wirklich positiv überrascht, auch wenn es erst das Blog von Daimler geschafft hat mich wahrlich davon zu überzeugen, dass es sowohl einen Mehrwert für das Unternehmen, für die Mitarbeiter und für User haben kann.

Hier noch ein paar Beweise, dass es sie wirklich gibt, die lebendigen, interessanten Corporate Blogs:

Wholefoodmarket

37signals

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